!       Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier:

"Die Politik ist auch dem Freiheitsschutz der Bürger verpflichtet. Die Menschen in diesem Land

sind keine Untertanen ... Ich hätte mir als Staatsrechtler nie vorstellen können, dass derart intensive Freiheitsbeschränkungen von der zweiten Gewalt, der Exekutive, beschlossen werden."       !

 

Strafverteidiger Gerhard Strate: "Bundesverfassungsgericht - Stets zu Diensten - 

Corona, Klima, Rundfunkbeitrag: 'Karlsruhe' entwickelt sich immer mehr zum Erfüllungsgehilfen der Politik. Für unsere Demokratie ist das brandgefährlich. Wohin steuert das Bundesverfassungsgericht?"


Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 19.6.2021 zur gelegentlichen Wiedervorlage:

 

Fall 1: "Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Vollzug der Ausgangsbeschränkung ... Als Landtagsabgeordneter und Rechtsanwalt sei er häufig im Zeitraum von 22 Uhr bis 5 Uhr an verschiedenen Orten tätig, weswegen sich auch sein Privatleben in die späteren Abendstunden verlagere ... Ausweislich neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und praktischer Erfahrungen – insbesondere in der Stadt Flensburg – sei die Ausgangsbeschränkung nicht geeignet und nicht erforderlich, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Die Annahme, nur mit der Ausgangsbeschränkung könne die Einhaltung von Kontaktregeln durchgesetzt und kontrolliert werden, sei nicht auf eine konkrete und nachprüfbare Tatsachengrundlage gestützt. Aufgrund der alleinigen und undifferenzierten Anknüpfung an die Sieben-Tage-Inzidenz sei eine bundesweite Ausgangsbeschränkung jedenfalls nicht angemessen. Gezielte anlassbezogene Kontrollen seien weniger grundrechtsintensiv als die generelle Verhängung einer Ausgangsbeschränkung. Ausnahmsweise sei dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits wegen der offensichtlichen Begründetheit seiner Verfassungsbeschwerde stattzugeben. Ansonsten drohe aufgrund der Befristung des Gesetzes eine Vereitelung des Grundrechtsschutzes. Jedenfalls wögen die Folgen des Vollzugs der Ausgangsbeschränkung schwerer als die Folgen ihrer vorläufigen Außerkraftsetzung ... Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss des Ersten Senats vom 5. Mai 2021 (1 BvR 781/21 u.a.) mehrere auf die vorläufige Außerkraftsetzung der Ausgangsbeschränkung gemäß § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG gerichtete Anträge abgelehnt. Dabei hat es sich sowohl mit Fragen der offensichtlichen Begründetheit der dazugehörigen Verfassungsbeschwerden auseinandergesetzt (a.a.O., Rn. 28-41) als auch eine umfassende Folgenabwägung vorgenommen (a.a.O., Rn. 42-56). Der Beschwerdeführer hat – auch in den ergänzenden Schriftsätzen – weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht etwas vorgetragen, was eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte." Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde deshalb abgelehnt. "Diese Entscheidung ist unanfechtbar."

 

Fall 2: "Der Antragsteller wendet sich gegen den Vollzug der Ausgangsbeschränkung gemäß § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl I S. 802). Die Ausgangsbeschränkung greife in seine Grundrechte ein. Er könne sich nur in eingeschränktem Maße im Freien aufhalten und seine Lebenspartnerin nicht wie gewohnt nach 22 Uhr vom Bahnhof abholen. Die Ausgangsbeschränkung sei weder geeignet noch erforderlich oder angemessen. Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde sei offensichtlich begründet." Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde mit selbiger Begründung wie oben abgelehnt. Entscheidende Richter in beiden Fällen: Paulus       Christ       Härtel


Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 20.5.2021 zur gelegentlichen Wiedervorlage:

 

Fall 1: "Der Beschwerdeführer macht geltend, § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG, der Zusammenkünfte der Angehörigen eines Haushalts nur mit einer weiteren Person zulasse, greife willkürlich in seine Grundrechte ein ... Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG verfassungswidrig sei. Die Regelung habe für ihn zur Folge, dass sein Vater ihn und seine Ehefrau besuchen dürfe, seine Mutter allerdings zu Hause bleiben müsse, obwohl sie mit dem Vater in einem Haushalt lebe. Umgekehrt dürfe er seine Eltern besuchen, dann müsse aber seine Frau zu Hause bleiben. Dies lasse sich auf andere Kontakte ... übertragen. Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen seien durch die Beschränkung nicht zu erkennen und zu erreichen." - Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde abgelehnt.

 

Fall 2: "Die Beschwerdeführenden sind Interpretinnen und Interpreten klassischer Musik von Weltruf. Sie wenden sich gegen die ... Untersagung der Öffnung von Einrichtungen wie Theatern, Opern, Konzerthäusern, Bühnen, Musikclubs, Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten sowie entsprechender Veranstaltungen ... Dies komme einem Kunstausübungsverbot gleich. Kunst erfordere Publikum, da sie auf eine geistige Interaktion mit dem Publikum gerichtet sei ... Die alleinige Anknüpfung an den Inzidenzwert als Tatbestandsvoraussetzung für das 'Kulturveranstaltungsverbot' in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lfSG sei im Hinblick auf die fehlende Aussage zu der tatsächlichen Infektionsgefahr ungeeignet. Pauschale 'Kulturveranstaltungs-verbote' seien zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 nicht erforderlich und unangemessen. Für Kulturveranstaltungen, die in modern belüfteten Veranstaltungsstätten durchgeführt würden, lägen mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Studien vor, die allesamt zu dem Ergebnis kämen, dass ein signifikantes lnfektionsrisiko bei Einhaltung von Hygiene- und Schutzkonzepten nicht festgestellt werden könne. Die Beeinträchtigung der Kunstfreiheit könne nicht allein durch das abstrakte Ziel des Schutzes von Leben und Gesundheit pauschal gerecht-fertigt werden. Vielmehr sei der konkrete Beitrag, den die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels leisteten, mit den konkreten Freiheitseinbußen ins Verhältnis zu setzen..." - Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Fall 3: "Es wird beantragt, die dort für den Einzelhandel geregelten Beschränkungen vorläufig außer Kraft zu setzen ... Jedenfalls machen die Antragstellerinnen gewichtige Interessen geltend. Sie legen dar, dass sie durch die Öffnungsbeschränkungen seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie, insbesondere seit Mitte Dezember 2020, Einnahmeeinbußen erlitten haben. Auch erscheint nachvollziehbar, dass sie Kundschaft – jedenfalls für die Dauer der Beschränkungen – an die vom Gesetzgeber im Vergleich privilegierten Mischsortimentgeschäfte verlieren könnten und die dort getätigten Käufe auch nicht bei ihnen nachgeholt werden ... erhebliche Belastungen, die aus den Beschränkungen bis hin zum Verbot der Ladenöffnung entstehen, genügen allerdings so nicht, um die Dringlichkeit einer nur ausnahmsweise gebotenen Eilentscheidung gegen ein Gesetz zu begründen. Insofern ist in den hier zu beurteilenden Fällen weder vorgetragen noch erkennbar, dass konkret die Schließung von Betrieben oder die Kündigung von Beschäftigten drohte, die Existenz der hier antragstellenden Unternehmen gefährdet oder gar eine Insolvenz zu befürchten wäre, träte die angegriffene Regelung nicht bis zur Entscheidung der Hauptsache außer Kraft" - Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurden abgelehnt.

 

Fall 4: "Der Antragsteller macht geltend, durch die Untersagung der Durchführung von Präsenzunterricht ... verletzt zu sein. § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG sei unverhältnismäßig, da es keine wissenschaftliche Evidenz gebe, dass eine Untersagung von Präsenzunterricht ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 165 relevanten Einfluss auf das Infektionsgeschehen habe. Die Durchführung von Wechselunterricht unter Wahrung von Schutzvorkehrungen käme als milderes Mittel in Betracht. Zudem sei das alleinige Abstellen auf die Sieben-Tage-Inzidenz sachlich unzureichend und nicht verhältnismäßig" - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde abgelehnt.  

 

Nachtrag vom 27.5.: Scharfe Kritik: "an Verfassungsrichtern - Sitzt Karlsruhe die Corona-Eilanträge aus? - Verfassungsexperte Prof. Dietrich Murswiek erhebt schwere Vorwürfe gegen das Bundesverfassungsgericht. Hintergrund ist der Eilantrag gegen die „Bundes-Notbremse“, den Murswiek im Auftrag des SPD-Rechtsexperten Florian Post am 22. April stellte – und über den das Gericht bis heute keine Entscheidung gefällt hat. Der Freiburger Rechtsprofessor fordert deshalb jetzt in einer offiziellen Beschwerde die Richter in Karlsruhe auf, „nunmehr umgehend zu entscheiden“, zumal die Gefahr einer Überlastung der Intensivstationen, vor der die 'Notbremse' schützen soll, 'vollständig verschwunden' sei ... 'Das Karlsruher Gericht verhält sich damit wie ein politischer Erfüllungsgehilfe, statt seine Aufsichtspflicht wahrzunehmen. Es entsteht der furchtbare Eindruck der Gleichschaltung.' Er frage sich, so Post zu Bild, 'wie tief sich der Präsident des Gerichts als ehemaliger CDU-Abgeordneter bei der Kanzlerin in der Schuld sieht' ... Derzeit bemüht sich die Bundesregierung, die umstrittenen Regeln um weitere Monate zu verlängern, vermutlich bis Ende September – oder sogar darüber hinaus."

 

Nachtrag vom 2.6.: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: "Mehrere Eilanträge und Verfassungsbeschwerden gegen Vorschriften des Vierten Bevölkerungsschutzgesetzes ('Bundesnotbremse') erfolglos." Siehe dazu: Beschluss BvR 794/21 und Beschluss  BvR 927/21


Hinweis vom 20.5.2021: Der demokratisch und menschenrechtlich garantierte Rechtsschutz muss inzwischen gerichtlich erstritten werden - zumindest bis dato noch erfolgreich: "Bürger haben trotz Corona-Pandemie Anspruch auf mündliche Erörterung ihres Widerspruchs im Rechtsausschuss - Effektiver Rechtsschutz auch während der Corona-Pandemie sicherzustellen." 


9.4.2021

EGMR-Urteil zur Impfpflicht

 

Flugs ist man zur Stelle und will ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) für die Corona-Politik instrumentalisieren. Etliche Familien hatten zwischen 2013 und 2015 gegen die Impfpflicht für Kinder in Tschechien bezüglich neun Krankheiten wie Diphtherie und Tetanus geklagt. In Straßburg entschied man nun: „Die tschechische Gesundheitspolitik sei im ‚besten Interesse‘ der Kinder … ‚Das Ziel muss sein, dass jedes Kind gegen schwere Krankheiten geschützt ist, durch Impfung oder durch Herdenimmunität‘.“ Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) sei deshalb durch die Impfpflicht nicht verletzt. „Die Entscheidung wurde von der Großen Kammer des Gerichts getroffen und kann nicht angefochten werden. Es ist das erste Urteil des EGMR zu einer Impfpflicht für Kinder.“ 

 

Merkwürdig mutet diese Formulierung im Urteilsspruch an: „Die Maßnahmen können in einer demokratischen Gesellschaft als notwendig angesehen werden.“ In einer diktatorischen Gesellschaft also nicht? Wird man dort nicht krank? Oder was hat das Wort „demokratisch“ sonst dort zu suchen? Wie auch immer: Inhaltlich kann man eventuell noch konform gehen mit einer richterlich abgesegneten Impfpflicht, wo es um ordnungsgemäß geprüfte und langzeitlich erprobte Impfstoffe geht. Das ist bei den Corona-Impfstoffen bekanntlich nicht der Fall. Trotzdem lanciert man sogleich: „Experten zufolge könnte es Auswirkungen auf die derzeit vielerorts laufenden Corona-Impfkampagnen haben … ‚Dieses Urteil stärkt die Möglichkeit einer Impfpflicht unter den Bedingungen der aktuellen Covid-19-Epidemie‘, sagte der Rechtsexperte Nicolas Hervieu von der Sciences Po in Paris der Nachrichtenagentur AFP. Mit dem Urteil räume das Gericht den Staaten bei ihrer Impfpolitik einen ‚Ermessensspielraum‘ ein“ und befürworte außerdem „das Prinzip der sozialen Solidarität, das es rechtfertigen kann, die Impfung allen aufzuerlegen, auch jenen, die sich von der Krankheit weniger bedroht fühlen“.

 

Spätestens dort, wo das Grundrecht auf höchst private Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper einem gänzlich interpretationsoffenen Begriff wie „soziale Solidarität“  weichen soll, noch dazu im Rahmen einer Impfstoffgabe ohne Langzeiterfahrung, wird es äußerst schlüpfrig. Ein seltsames Rechtsverständnis, das dieser „Experte“ favorisiert. Falls es künftig einmal zu einer Individualbeschwerde auf höherer Ebene, nämlich wegen Verletzung der im „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ formulierten Menschenrechte kommen sollte, dürfte man gespannt sein auf den Ausgang. In Artikel 4 Absatz 1 heißt es zwar: 

 

„Im Falle eines öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht und der amtlich verkündet ist, können die Vertragsstaaten Maßnahmen ergreifen, die ihre Verpflichtungen aus diesem Pakt in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, außer Kraft setzen, vorausgesetzt, dass diese Maßnahmen ihren sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht zuwiderlaufen und keine Diskriminierung … enthalten.“ Absatz 2 bestimmt aber: „Auf Grund der vorstehenden Bestimmung dürfen die Artikel 6, 7, 8 (Absätze 1 und 2), 11, 15, 16 und 18 nicht außer Kraft gesetzt werden.“ Artikel 7 enthält zum Beispiel dies: „Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden.“ Artikel 18 enthält das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Wissenswert wäre im Übrigen, ob die hiesige Regierung ihrer Mitteilungspflicht überhaupt nachkam: „Jeder Vertragsstaat, der das Recht, Verpflichtungen außer Kraft zu setzen, ausübt, hat den übrigen Vertragsstaaten durch Vermittlung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen unverzüglich mitzuteilen, welche Bestimmungen er außer Kraft gesetzt hat und welche Gründe ihn dazu veranlasst haben. Auf demselben Wege ist durch eine weitere Mitteilung der Zeitpunkt anzugeben, in dem eine solche Maßnahme endet.“ 


19.3.2021

„Keine normalen Umstände“

 

„Unter normalen Umständen würde sich der aufmerksame Leser an dieser Stelle verwundert die Augen reiben und fragen, was die Dortmunder Richter geritten hat, den Behandlungsanspruch einer unter Schmerzen leidenden schwangeren Patientin abzulehnen“: Die Anwälte bei „lennmed.de“ wissen offenbar um die Brisanz dieser Entscheidung, schlussfolgern dennoch kurzerhand: „Wenn allerdings eines zur Zeit sicher ist, dann die Tatsache, dass während der Corona-Pandemie eben keine normalen Umstände herrschen.“  Damit ist alles rechtfertigbar!

 

Worum ging es? „Das Landgericht Dortmund gab am 04.11.2020 im Rahmen eines Eilverfahrens (Az.: 4 T 1/20) einem Krankenhausträger recht die nicht notfallmäßig gebotene Krankenhausbehandlung und stationäre Aufnahme zu verweigern, da die betroffene Patientin vor Aufnahme einen Corona-PCR-Test ablehnte.“ Die Patientin war eine privatversicherte Schwangere, die unter Nierenschmerzen litt. Nachdem eine urologische Klinik ihre Behandlung abgelehnt hatte, weil sie den Corona-PCR-Test nicht durchführen lassen wollte, gaben sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht dem Krankenhausträger Recht. Argumentiert wurde mit einem wichtigen Grund im Einzelfall. Außerdem: „Zudem sah das Landgericht das Testverlangen der Klinik dadurch begründet, dass es auf diese Weise insbesondere den Richtlinien und Empfehlungen des RKI nachfolgte … Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung überwog nach Ansicht des Landgerichts Dortmund weiterhin auch nicht die Gesundheit der Schwangeren sowie ihres ungeborenen Kindes. Denn in Zeiten der Pandemie existiere eine Aufnahmepflicht ohne PCR-Test nicht bei jeder denkbar möglichen Behandlungsbedürftigkeit, sondern nur bei unmittelbar bestehender Lebensgefahr.“ 

 

Da bei einem Nierenleiden eine potentielle Lebensgefahr wohl erst im Rahmen einer Behandlung letztgültig auszuschließen ist, liegt es nicht fern anzunehmen, dass es bei den aktuellen juristischen Interessenabwägungen generell nicht vorrangig um Schutz von Leben und Gesundheit geht. Was man im Artikel noch erfährt: Der Sachverhalt ist „nicht pauschal auf niedergelassene (Zahn-)Ärzte zu übertragen, da diese – zumindest in Nordrhein-Westfalen – nicht grundsätzlich dazu verpflichtet sind, ihre Patienten vor einer Behandlung auf eine Corona-Infektion hin zu testen“. Warum eigentlich nicht? Was nicht ist, kann ja noch werden. „Die Grenze der Zumutungen“ im „Testchaos“ und „ praxisfernen Hauruckverfahren“ ist zwar laut Bayerischem Philologenverband erreicht und auch die kriminelle Energie scheint im Rahmen der Corona-Politik prächtig zu gedeihen. Aber: es herrschen eben keine normalen Umstände. Tja.


19.2.2021

Aufenthaltsüberwachung...

 

...leicht gemacht: nämlich via elektronischer Fußfessel und entsprechendem Global Positioning System. Das Bundesverfassungsgericht hat das gerade nochmal abgesegnet. Es sei mit dem Grundgesetz kompatibel: "Hierin liegt zwar ein tiefgreifender Grundrechtseingriff insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das allgemeine Persönlichkeits­recht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Gleichwohl ist dieser Grundrechtseingriff aufgrund des Gewichts der geschützten Belange zumutbar und steht nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der Rechtsgüter, deren Schutz die elektronische Aufenthaltsüberwachung bezweckt." Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, welche Zwecke hier künftig für relevant erklärt werden. Aber keine Sorge: Man kann mit der GPS-gestützten Observation - "regelmäßig" - noch unbeobachtet seinen Geschäften auf der Toilette nachgehen: "Ein Eingriff in die Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Die gesetzlichen Vorschriften sind lediglich auf die anlassbezogene jederzeitige Feststellbarkeit des Aufenthaltsortes des Betroffenen gerichtet. In welcher Weise er sich an diesem Ort betätigt, ist nicht Gegenstand der Überwachung, da sein Handeln weder optischer noch akustischer Kontrolle unterliegt."     


5.2.2021

Die Banalität der Juristerei

 

In Bezug auf die Maskenpflicht ist man es von den Gerichten inzwischen gewohnt, dass sie die Anliegen der Antragsteller nicht überzeugend finden und selbst vor der Rechtfertigung eines Schulausschlusses nicht zurückschrecken, da man ärztliche Befreiungsatteste kurzum nicht ernst nimmt. Die Diskrepanz der Argumentation zu jüngsten Urteilen bezüglich Impfungen ist schon augenscheinlich. Im Fall einer Schülerin, die aus medizinischen Gründen keine Alltagsmaske tragen kann und dem Gericht verschiedene Atteste einer Ärztin für Anästhesie vorlegte, „argumentierte“ das Verwaltungsgericht Aachen: „Die Schulleitung und auch das Gericht müssten aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der medizinischen Gründe für eine Befreiung von der Maskenpflicht selbstständig zu prüfen und festzustellen. Dies sei der Kammer auf der Grundlage der vorgelegten Atteste nicht möglich gewesen … Darüber hinaus müsse im Regelfall erkennbar werden, auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei.“

 

In einem anderen Fall wollte ein 73-jähriger chronisch Herzkranker erreichen, wegen des erheblich erhöhten Risikos eines komplikativen Covid-Verlaufs eine frühzeitige Sars-CoV-2-Impfung zu erhalten – obwohl die (in Überarbeitung befindliche) Coronavirus-Impfverordnung derzeit nur Personen mit vollendetem 80. Lebensjahr höchste Impfpriorität zugesteht. Der Antragsteller „beanstandete, dass die Bundesregierung die Impfgruppen ausschließlich nach dem Alter eingeteilt hat und nicht nach anderen Risiken wie Vorerkrankungen“. Gut nachvollziehbar, diese Beanstandung. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen findet aber, die geltende Priorisierung sei „grundsätzlich nicht zu beanstanden“. Die vorrangige Impfung von Personen ab 80 Jahren „überzeuge“ und es „bestünden auch keine Zweifel daran, dass die weiteren Differenzierungen ab Stufe 2 und Stufe 3 wissenschaftlich fundiert seien“. Hier ist das Gericht also einfach mal überzeugt, ohne die medizinischen Gründe für die Impfpriorisierung selbstständig prüfen und feststellen zu wollen respektive ohne der Frage nachzugehen, auf welcher Grundlage Politik und Wissenschaft zu ihrer Einschätzung gelangt sind.

 

In Berlin prallten zwei Krebskranke, therapiebedingt immunschwach, mit ihrem sofortigen Impfwunsch ebenfalls vor dem Gericht ab. Interessanterweise postulierten die dortigen Richter unter anderem: „Aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit könne ebenso wenig ein sofortiger Impfanspruch abgeleitet werden.“ (!) Das Herunterfahren des öffentlichen Lebens mit der Vernichtung Zigtausender Existenzen aber schon? Man sollte sich diese richterliche Formulierung auch für die künftigen Debatten rund um eine Impfpflicht merken. Es gibt im Übrigen Gerichte, die wiederum ganz anders entscheiden; siehe hier oder etwa dort


9.1.2021

Die Verfassung als Federball

 

Es wäre wohl im Rahmen der Notstandsgesetzgebung allzu auffällig, wenn die Politikspitzen immer noch ständig den Begriff „Demokratie“ im Munde führten. Das ist tatsächlich weniger geworden. Inzwischen kommt vielmehr im Zuge vermurkster Rhetorik zum Vorschein, welchen Stellenwert man der Verfassung in Wirklichkeit zubilligt. Zum Beispiel in diesem Statement eines CDU-Gesundheitspolitikers, der die „Durchimpfung der Ü70“ an künftige Lockerungen knüpft: „In der Debatte um die Corona-Strategie komme bislang zu kurz, ‚welche Auswirkungen die Impfung der Risikogruppen auf die Einschränkung der Freiheitsrechte‘“ haben. Starker Tobak. Die Beschränkung eines Verfassungsgrundsatzes wird einfach so in die zweite Reihe, hinter eine willkürlich gesetzte Vorgabe, geschoben. Selbstverständlich müsste in einem verfassungstreuen Staat gelten, Freiheitsrechte überhaupt erst nach Vorlage eindeutiger, stichhaltiger Belege einzuschränken. Ein solcher ist die Ü70-Durchimpfung längst nicht. Hingegen gibt es Forscher, die eine Entspannung der Lage eher nach Durchimpfung der jüngeren Zielgruppe prognostizieren. Man darf sowieso mal fragen, warum plötzlich obsolet sein sollte, was eine US-Studie im Zuge des H1N1-Virus-Aufkommens feststellte: Der „häufige Kontakt mit Grippeviren sorgt insgesamt für eine breit aufgestellte Immunabwehr älterer Menschen“. 

 

Noch klarer wird die Unverfrorenheit der leichtfertigen Marginalisierung von Grundrechten trotz mangelnder sicherer Datenlage aus den „Forschungsbemühungen der Bundesregierung in der Corona-Pandemie“. Die Bemühungen konzentrieren sich etwa auf folgende Fragen: „Wie kommt es zu unterschiedlichen Verläufen der Covid-19-Erkrankungen? Wie stellt sich das Infektionsgeschehen unter Kindern und Jugendlichen dar? Welche therapeutischen Ansätze bewähren sich in der Praxis? Welche ethischen, rechtlichen und sozio-ökonomischen Implikationen sind zu beachten?“ Die Forschungsergebnisse „können Impulse für aktuelle politische Entscheidungen geben … Insgesamt werden die meisten Ergebnisse im Laufe des nächsten Jahres (Anm.: also 2021) erwartet.“ ! Der aktuell verordnete strenge Lockdown mit begrenztem Bewegungsradius in Hotspots, Schulschließungen und weiteren dramatischen Folgen basiert also nur auf unzureichenden Erkenntnissen; sonst würde man ja nicht weitere Forschung betreiben. Das sei nicht nur gefährlich, sondern auch unprofessionell, wird hier kommentiert.

 

In einem südamerikanischen Land nimmt man die Verfassung nicht so leicht wie einen Federball, den man mal hierhin oder dorthin bugsiert: „Das Verfassungsgericht von Ecuador hat den von Präsident Lenín Moreno verhängten Ausnahmezustand für verfassungswidrig erklärt … Sieben der neun Richter sahen es als erwiesen an, dass diese Maßnahmen nicht mit der ecuadorianischen Verfassung in Einklang stehen. Das Gericht kritisierte insbesondere die fehlende räumliche und zeitliche Abgrenzung als auch die Untverhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Darüber hinaus vertraten die Richter die Ansicht, dass die Regierung mit den ihr zur Verfügung stehenden konventionellen präventiven Maßnahmen ausreichend auf die Pandemie reagieren könne. Der Gerichtshof unterstrich in seinem Urteil zwar die Schwere der Covid-19-Pandemie und deren Auswirkungen auf Verfassungsgüter wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dennoch sei sie nicht als ein öffentlicher Katastrophenfall einzuschätzen, der die Maßnahmen gerechtfertigt hätte, da es an der Unvorhersehbarkeit und Unzeitigkeit fehle.“ 

 

Hierzulande gibt es zwar ähnlich dorthin tendierende Stimmen; bislang nur weithin ignoriert: Gerhard Strate zum Beispiel, Mitglied beim Verfassungsrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, meint bezüglich  Impfpflicht: "Schritt für Schritt machen derartige Gedankenspiele ihrem Publikum schmackhaft, dass es Dinge geben könnte, die der individuellen Souveränität der menschlichen Persönlichkeit übergeordnet sein sollten. Was für ein entsetzlicher Irrtum. Wie lange das Grundgesetz einem derartigen Zeitgeist noch wird standhalten können, ist vollkommen ungewiss." ! Vorarbeit ARD „Prantls Blick“ stellt sich dar wie folgt: „Die Verfassung muss pandemiefest sein ... Das Coronavirus ist keine archaische Gottheit, die man durch symbolhafte Opfergaben befriedigen muss ... Grundrechte sind keine Privilegien, die man sich erst durch ... bestimmtes Verhalten verdienen kann oder verdienen muss ... ich wünsche uns, dass wir auch in Corona-Zeiten wach bleiben.“ Und eine Verfassungsbeschwerde gegen die Corona-Maßnahmen ist mittlerweile virulent: seitens eines bislang noch anonymen Richters. 

 

Nachtrag: Der anonyme Richter, der Verfassungsbeschwerde gegen die Corona-Maßnahmen einreichte, hat sich geoutet: Pieter Schleiter, Richter am Landgericht Berlin.